Besprechung v. R. Schulak (aus ZW Nr. 1-2/2005, S. 88):



Brandungsgedichte

Mit dem 99. Band der Reihe Lyrik aus Österreich stellt der Grasl-Verlag die Gedichte einer mehrfach ausgezeichneten Autorin vor. Mechthild Podzeit-Lütjen konnte nach Publikationen in Zeitschriften und Anthologien mit ihren beiden zuletzt erschienenen Büchern ihr Publikum neugierig machen, was bei Lyrik keineswegs selbstverständlich ist. Wird doch der Leser hier durchaus gefordert, es wird ihm nicht leicht gemacht, der Sensibilität der Sprache und dem besonderen Umgang mit ihr gerecht zu werden, der Ganzheit der einzelnen Texte, aber auch dem notwendigen Miterleben und Nachvollziehen des Schreibakts. Wer dabei allzuschnell zu verstehen glaubt, bringt sich selbst um den Lesegenuss.
Häufig zeichnen Widmungen oder Fußnoten die in Gruppen geordneten Brandungsgedichte aus: Programm und Bezüge. Dadurch ergeben sich zusätzliche Assoziationsmöglichkeiten und die nötige Transparenz, die durch kunstfertige Abriegelungen der Sprache und raffinierte Verschiebung von Atemperioden nicht immer von vornherein gegeben erscheint, "weil/ wir keine Sprache/ nur Wörter haben/ weil/ wir Gedanken in/ Schweigen verpackt..." und "WörterStimmenSucht" die Lust am Fabulieren vorantreibt. Dem Leser bleibt es aufgegeben, dem Wechsel der Bedeutungen mehr zu entlocken als vordergründig zu fassen sein mag: "... die Wärme hebt die Worte/ hinter dem Fensterglas/ die Sonne sein lassen/ die Worte sind ein Mobile/ sie sein lassen".
"Findung in den Gesteinsschichten" und "vollgesaugte Gedankenmoose" bilden den Untergrund für Mechthild Podzeit-Lütjens Reflexionen, ihren operativen Zugang zur Sprache und deren bewußte Gestaltung. Ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten erlaubt reizvolle Wechselspiele von Sinnesfreude und tiefgründiger Auseinandersetzung mit Lebenswirklichkeiten, mit Liebe und Tod, oft in verhaltenen Tönen und besonders berührend als leises "anmuten lassen fragen".
Der Zauber dieser Lyrik liegt in der scheinbaren Leichtigkeit, mit der Lebenslügen, Täuschung, Angst oder Ungewißtheit sich in muntere Wortspiele verwandeln, Schaumkronen über den Brandungswellen des Daseins. Mechthild Podzeit-Lütjens Gedichte entstehen aber nicht nur aus Sprachkönnen und philosophischem Grunddenken, viel mehr noch aus Erfahrung und tiefer Betroffenheit über das, was Menschen mangelt, was ihnen geschehen ist und oft genug noch immer geschieht. So erweisen sie sich am Ende als "beklemmende Zeugen/ des Ungeheuren" und beleuchten verdeckte Lebenswelten in Verantwortlichkeit, Hingabe und Distanz.
Rosemarie Schulak

Mechthild Podzeit-Lütjen: Dünen. Wächten. Brandungsgedichte. Baden bei Wien: Grasl 2004. 64 S. Euro 8,- (Lyrik aus Österreich. Hg. von Manfred Chobot. Bd. 99).

###

Besprechung von Sidonia Binder, Österreichischer Schriftstellerverband (Literarisches Österreich 2005)

Mechthild Podzeit-Lütjen
DÜNEN. WÄCHTEN
Brandungsgedichte
Reihe: Lyrik aus Österreich, Bd. 99, Verlag Grasl, Baden bei Wien, 2004
ISBN 3-85098-272-6

Die aus Bremen stammende und in Wien lebende Schriftstellerin ist literarisch und publizistisch vielseitig tätig und mehrfach mit Preisen ausgezeichnet worden.
Schon bei der ersten Begegnung mit diesem kürzlich erschienen Band schafft derTitel Realität. Eine Brandung verbaler Vielfalt erzeugen allein die einzelnen Gedichtanfänge und Überschriften: ... kieselglanz und wortschritte, sand.dorn, muschelkalk und glasmurmeln, flügel.klöppel.fuchsia...
Mechthild Podzeit-Lütjens Sprache wächst wie ein unbehauener Stein unter den Händen des Bildhauers in die gewollte Form.

Kornblumen
was ist es, die SehnLust
wie langsam blühende
Blaublumen nährt es
Korn in deinem Mark
Metastasen von Kussträussen
aus WörterStimmen Sucht.

Worte, Sinnbilder und selbst einzelne Buchstaben werden zu einem Gestaltungselement; aber nicht spielerisch leicht, sondern mit hartem Wurf setzt und bearbeitet die Lyrikerin die Sprach-Steine.

scheint grünt und blüht
jeder für sich Gott
für uns alle
eingebleute Schul(d)sprüche
hat man die Schranken
gewiesen auf der Mauer
zum Nachbarn...

Der Zusammenhalt der Teile dieser jeweiligen geschriebenen Vexierbilder ist manchmal so dicht, die Verknäuelung so eng – wenn auch dann doch entwirrbar -, dass nichts losgelöst werden kann ohne verfälschende Verrenkung.

...ein LuftPolster entdecken
Blosses Anspiel in Wellen
Der AtemStösse wie Fliegen
doch löst es sie auf wird
kein Schwellen Schweben







benedicere
es ist dumpfes Bunt
der Nebel deckt Farben
und weil sich alles
wiederholt fragt man
nicht danach
was wird sein mit
dem ungefragten Bund
der nicht gefragten Antworten und den
unbeantworteten Fragen
wenn der Rost von den
Restlosen Ästen tropft

Es entstehen verblüffende und manchmal beklemmende gedankliche Schlüsse, die hinter der jeweiligen Inszenierung reale Bezüge zulassen, - wenn auch erst bei konzentrierter Annäherung. Noch bevor sich die Bildkonturen schärfen, werden schon die Grenzen des Seins erreicht und erst darin kommt es zur zwingenden Deutlichkeit. Endgültig, bitter, unausweichlich.

Wenn nun der ICE entgleist komme ich gar nicht an -
ich komme dir dann entgegen sagtest du.

... weil wir länger tot als lebendig sind
weil nicht alles was wir vergessen, weg ist
weil Reden nicht über den Tod hinweg hilft

Doch tief hinter manchem Wort und Sinnbild verbirgt sich gelegentlich schemenhaft ein Wortwitz.

alpin 2300 m
... ritus jenseits der föhren
klänge ein e initial wie
ewig in buchenrinde wie
geliebt

... mandelwache
der unlichte strahl
hinter neuen gardinen
yellow und blickdicht

Die Themen und Anliegen der Lyrikerin sind so vielfältig wie anspruchsvoll.
Namentliche Zuwendungen und Widmungen (z.B. an Alberto Giacometti, im gedenken hc...H.C.Artmann) zeigen neben der dokumentarischen Absicht auch persönliche Bezugnahme.
Menschliche Beziehungen tarnen sich in eigenwilligen Metaphern.

wer vermutet weiß...
... du bist zum Kokon versponnen und verhärtet
in Computertabellen eingenistet


... denn du hörst
mich nicht was ich
auch dafür halte
denn du hast
entstellt dich bis
zur neuen Kennung

Die gedankliche Vielschichtigkeit bzw. die verschiedenen Zugänge zeigen sich auch in den häufigen Doppelvarianten der Titel:
MS Daumen rechts oder malerwellness / Grossglockner oder fallen in zeitlupe /
heile Welt oder sichtBares Glück.

Allmählich erschließen sich die stets vorhandenen Düsternisse: Ängste, Trauer und Vergeblichkeit wie etwa im Text:
das leben geht weiter / manch.mal.immer ...

... Erinnerung trennt Helle
Wärme brandungsgerundet
strahlt oder schreit Gnade
zweifelhafter Erkenntnis...

Profan und direkt ist der Umgang mit transzendentalen Überlegungen:

gebet
wir müssen unsere Sprache
codifizieren sprach er
neu wir müssen den Anschluss
überprüfen zu Gott, denn
zwischen Not und Stoß
gebeten und solchem Beten.
Und solchem Beten.

erliegend Sieg oder NachtKyrie
jetzt haben wir
alle Strophen ge
sungen immer
hält Gott uns
in der Schwebe
Kette herbes Geschick

Vielleicht gilt es, - ironisch ?- auf eine Hoffnung zu setzen:
Alles was wir suchen ruht in Schubladen aus...

Mechthild Podzeit-Lütjens Brandungsgedichte gewähren keinen leichten und flüchtigen Genuss, dafür aber nachhaltige Eindrücke, wenn man bereit ist, sich intensiv mit dieser Literatur auseinanderzusetzen.
Ein markanter -vorläufiger- Schlußstein in der nunmehr 99 Bände umfassenden Lyrikreihe des Grasl-Verlages.